18.10.2021

Das war Jazz&TheCity 2021

Salzburg als Freiraum

Ein Blind Date kann die Augen öffnen. Und manchmal auch die Ohren, wie im Falle des Festivals Jazz&TheCity, das vom vergangenen Donnerstag bis zum gestrigen Sonntag bei herrlichem Wetter und ebensolcher Stimmung in Salzburg stattfand. Nachdem sie sich eines der bunten 3G-Armbänder besorgt hatten, erlebten zigtausend begeisterte BesucherInnen an den vier Festivaltagen gut einhundert Konzerte, Performances, Hidden Tracks-Spaziergänge und natürlich viele Blind Dates, letztere ein Konzept, für das sich MusikerInnen spontan zum instrumentalen Tête-à-Tête trafen, die häufig noch nie zusammengespielt hatten.

Konzerte vielerorts in Salzburg
„Es ist so schön, endlich wieder für ein volles Auditorium spielen zu dürfen“, bedankte sich der norwegische Trompeter Nils Petter Molvaer bei seinem fantastisch energiegeladenen Konzert am Samstag, stellvertretend für die rund 150 teilnehmenden KünstlerInnen des Festivals. Angesichts der rücksichtsvoll eingehaltenen Corona-Auflagen fügte er hinzuhinzu: „Es ist faszinierend, euch mit all den Masken zu sehen. Ich fühle mich wie in einem japanischen Film.“
Neuigkeiten gab es viele beim Jazz& The City 2021, wenn zum Beispiel Lukas Kranzelbinder nicht nur als Bassist der Superband Shake Stew auftrat, sondern auch im Duo mit dem Schlagzeuger Julian Sartorius einem voll besetzten Toihaus Theater Musik präsentierte, die wenige Tage zuvor ganz exklusiv produziert wurde: 33 Alben sind entstanden, von denen es jeweils nur ein Exemplar zu erwerben gab.

In Corona-Zeiten lag es nahe, häufiger als gewohnt Open Air zu riskieren. Die Bandbreite reichte von intimen Konzerten im Heckentheater des Mirabellgartens – einem Solokonzert mit dem Flamenco-Gitarristen Alejandro Moreno oder dem feinfühlig improvisierten Blind Date der Saxofonistin Angelika Niescier mit dem Gitarristen Kalle Kalima – bis zur neuen großen Open Air-Bühne auf dem Residenzplatz. Schon am Donnerstagnachmittag heizte dort die Sängerin Chanda Rule aus Chicago mit einem wunderbaren Set zwischen Soul und Spiritual Jazz ein. Beim italienischen Party-Aktivisten Luca Bassanese oder der Rapperin La Nefera tanzte die Jugend ausgelassen vor der Bühne, zu den Latin-Sounds von El Flecha Negra nahm sich ein nicht mehr ganz junges Paar spontan zum Rumba in die Arme. Auch bei den heftig losrockenden Grooves des Trios TMT explosive um die Gitarristin Monika Roscher, dem intensiven Jazz des so noch nie dagewesenen Trios um Drummer Gard Nilssen, Saxofonist Kjetil Traavik Møster und Organist Kit Downes oder dem mitreißenden Auftritt von Mamma Fatale zum Abschluss am Sonntagnachmittag sahen Fans unterschiedlichster Stilrichtungen auf dem voll besetzten Platz sehr glücklich aus.

In der SZENE Salzburg
Auch in diesem Jahr war die SZENE Salzburg wieder einer der zentralen Spielorte des Festivals. Für schaurig schöne Gänsehautmomente sorgte bei der Eröffnung das Ensemble Resonanz mit Schubert und Nick Cave, interpretiert von Schauspieler Charly Hübner als bewährtem Rezitator und unkonventionellem Gesangsinterpreten. Zwei der Jazzmusiker, die beim Haus-Ensemble der Hamburger Elbphilharmonie Gäste waren, spielten auch an den kommenden Tagen zentrale Rollen. Drummer Max Andrzejewski zum einen, der noch am selben Abend mit dem Saxofonisten Johannes Schleiermacher dafür sorgte, dass sich die SalzburgerInnen auf den Boden statt ins Gestühl setzten, um die rhythmisch hochkomplexe Musik aus nächster Nähe mitzuerleben. In der SZENE waren die beiden mit Max Andrzejewski’s Hütte zu erleben, die ein ganzes Konzert der Musik des Ex-Soft Machine-Drummers und Sängers Robert Wyatt widmeten. Auch beim zweiten Konzert des Ensemble Resonanz rund um das „anatolische Songbook“ der Sängerin Derya Yildirim glänzte die Sängerin Cansu Tanrikulu, so intonationssicher wie improvisationsfreudig.
Kalle Kalima war der zweite Jazzgast beim Ensemble Resonanz, der in den folgenden Tagen allgegenwärtig schien. Schon am Freitag gelang dem finnischen Gitarristen aus Berlin, was so nur unter Jazzmusikern denkbar ist: Er sprang für den kurzfristig verhinderten Posaunisten Nils Wogram ein – und wurde für ein reguläres Mitglied des Nostalgie Trios gehalten. Beim Abschlusskonzert in der SZENE am Samstagabend waren die drei dann so gut eingespielt, dass sie noch den französischen Teufelsgeiger Theo Ceccaldi für ein himmlisches Vergnügen auf die Bühne baten – er schlug auch die letzten Töne des Festivals an – auf der Velo Stage im Mirabellgarten war der Geiger solo am Sonntagnachmittag hören.

Intimere Spielformate
Eine geplante Uraufführung gab es am Samstagabend in der Christuskirche: ein Weltmusik-Konzert, bei dem der Kora-Virtuose Ali Boulo Santo Cissoko mit dem Flamenco-Gitarristen Alejandro Moreno und dem in New York lebenden Jazz-Trompeter Volker Goetze ihr neues Trio vorstellten, das Einflüsse unterschiedlichster Kulturen mit großer Selbstverständlichkeit vereint.

Gleich nebenan erlebte das Marionettentheater seine Festival-Premiere als neue Spielstätte: Wo sonst die „Zauberflöte“ oder „Hoffmanns Erzählungen“ verpuppt erklingen, ging es vor Mitternacht in einer Ecke der Bar heftig zu. Almut Kühne, als Sängerin Stammgast des Festivals, brachte mit Schlagzeuger Alfred Vogel und Joke Lanz an den Turntables wilde Grooves zusammen mit ebensolcher Improvisation. Im Saal für bis zu 350 ZuschauerInnen ging es dafür umso lyrischer zu, als Pianist David Helbock mit seinem Projekt „The New Cool“ die Gemüter besänftigte. Dass er auch ganz anders kann, bewies er am gleichen Ort mit „Random Control“: Hier spielt neuerdings die Rapperin Yasmin Hafedh eine zentrale Rolle.

Eine Jazz-WG und Freiräume im Toihaus und in der Kollegienkirche
„Jazz-WG“ titelte das Bettlaken, das über dem Hotelschild der Blauen Gans hing. Hier hatten viele KünstlerInnen, gemeinsam mit der Theatermacherin Dorit Ehlers, sowie Martin Finnland und Martin Walkner von der Gruppe Nesterval das Haus übernommen und starteten von hier ihre Hidden Tracks – Spaziergänge ins Ungewisse – in Privathäuser, auf deren Dachterrassen, zum Museum der Moderne oder in den Wasserspiegel, während im Eingang der Blauen Gans der Künstler Julius Deutschbauer mit seiner Datingagentur „Einer“ zum Gespräch lud.

Die barocke Kollegienkirche und das Toihaus Theater waren Freiräume für das Festival in denen die Musikerinnen das Programm gestalteten – vielfach tänzerisch begleitet von sieben PerformerInnen der Gruppe CieLaroque und dem Künstler Helge Leiberg mit seinen Overhead Projektoren. Im Toihaus tanzten sie zu Klängen von Alfred Vogels Schlagzeug. Am nächsten Tag wurde er von Paul Frick abgelöst, der mit seinem Programm für fünf Streicher Premiere feierte. In der Kollegienkirche spielte mehrfach der klanggewaltige Kit Downes die Orgel, der auch mit seiner Band „Enemy“ ein Album vorstellte, das erst im kommenden Jahr bei ECM erscheinen wird.

Ein bewegendes Abschlusskonzert improvisierten Florian Weber am Flügel, der Schlagzeuger Dejan Tercic, Pascal Schumacher am Vibraphon und die Saxofonistin Anna-Lena Schnabel: einigen BesucherInnen standen Tränen in den Augen. Dieser barocke Ort mit dem langen Nachhall ist in jedem Jahr ein Ausgangspunkt für frappierende Improvisationen. Damit wäre wieder mal bewiesen, dass die Salzburger Altstadt mit Ihren Räumen und Gassen auf die KünstlerInnen ungemein inspirierend wirkt.

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